03.08.2025

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Geplagte Wirtschaft

01.01.1990
Das tragische Massaker auf dem Tienanmen (Platz des Himmlischen Friedens) war als Ereignis voll großer Ironie. Teng Hsiao-ping, Hauptangriffsziel des Zorns der Demonstranten, war einst als Pionier unter den Reformern verehrt worden, dessen gewagte wirtschaftliche Programme vieles vom radikalen Erbe Maos ungeschehen machten, den Lebensstandard der gewöhnlichen Chinesen anhoben und in der Wirtschaft einen größeren Wohlstand entfachten.

Vor dreizehn Jahren hatte Teng ähnliche Demonstrationen wie die auf dem Tienanmen benutzt, um seine Macht zu festigen. Aber am 3. und 4. Juni 1989 befahl der oberste Führer der Kommunistischen Partei Chinas dem Heer, die friedliche Demonstration auf demselben Platz mit brutaler Gewalt niederzuschlagen. Die barbarische Grausamkeit des Juni sowie das daran anschließende harte Durchgreifen gegen "Konterrevolutionäre" verweisen auf die Existenz tief verwurzelter Probleme auf dem chinesischen Festland.


Beginnend mit der dritten Plenarsitzung des 11. Zentralkomitees der KP-China im Dezember 1978 verfolgte Teng einen gewagten Plan, um die auf dem Festland bestehenden Plan- und Managementsysteme in Industrie und Landwirtschaft zu reformieren. Von 1978 bis 1988 gründete sich das Reformprogramm auf vier Hauptpfeiler: (1) die Einrichtung eines Verantwortungssystems auf Vertragsbasis in ländlichen Gebieten, um die kollektive Landwirtschaft zu ersetzen; (2) die Wiederbelebung privaten Unternehmertums in städtischen Gebieten; (3) die Übertragung größerer Autorität auf Staatsbetriebe; und (4) die Reform des irrationalen Preissystems. Diese Reformen haben unterschiedliche Ergebnisse gezeitigt. Während die ersten beiden Maßnahmen positive Auswirkungen hatten, verfehlten die anderen zwei nicht nur ihr proklamiertes Ziel, sondern wurden sogar zur Quelle öffentlichen Widerwillens.

Gegen Mitte 1988 standen Tengs Reformen immensen Schwierigkeiten gegenüber, zuvorderst die galoppierende Inflation. Nach 40 Jahren vorgeblicher Preisstabilität begann sich die Inflation auf die gesamte Bevölkerung auszuwirken. Nach offiziellen Berechnungen war die Inflationsrate als relativ gemäßigt anzusehen: Ein offizieller Einzelhandelspreisindex verzeichnete eine Steigerung von 12,5 Prozent für das Jahr 1985, 7 Prozent für 1986, 7,2 Prozent für 1987 und 18,5 Prozent für 1988. Die tatsächlichen Auswirkungen waren jedoch offensichtlich sehr viel gravierender.

Der offizielle Index spiegelt die absoluten Preisveränderungen sowohl in der Landwirtschaft wie auch in der Industrie wider. Ein besonders scharfer Anstieg der Nahrungsmittelpreise wurde in der Berechnung des Gesamtindexes durch die Preissenkungen bei einigen teuren Konsumgütern ausgeglichen. Da die Verbraucher aber 60 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, ist die Nahrungsmittelkomponente im Preisindex die eigentlich maßgebliche.

1987, als der Einzelhandelspreisindex den offiziellen Angaben zufolge um lediglich 7,3 Prozent anstieg, erhöhten sich die Preise für Nahrungsmittel allgemein um 10,1 Prozent, die Preise für Fleisch, Geflügel und Eier stiegen sogar um 16,5 Prozent. Im ersten Quartal des Jahres 1988 hindurch stieg der staatliche Einzelhandelspreisindex um weitere 13 Prozent, die Preise für nicht lebensnotwendige Nahrungsmittel kletterten um 24,2 Prozent, und bei frischem Gemüse gab es einen Preissprung von 48,7 Prozent.

Den Rest des Jahres und in der ersten Hälfte des Jahres 1989 stieg die Inflationsrate weiterhin an. 1988 lag die Jahresrate bei 18,5 Prozent, die Rate für die Nahrungsmittelpreise betrug jedoch mehr als 50 Prozent. Im September 1988 entschlossen sich die Behörden auf dem Festland, bei Investitionen und Geldversorgung Kürzungen vorzunehmen, in der Hoffnung, daß die Inflation 1989 auf diese Weise niedriger als 10 Prozent gehalten werden könne. Neue Festlandstatistiken erweisen jedoch, daß die Inflationsrate in der ersten Hälfte des Jahres 1989 erneut um 25,5 Prozent in die Höhe schnellte, in den größeren Städten überstieg sie sogar 40 Prozent. Stadtbewohner mit festgelegtem Einkommen haben am meisten unter der Inflation zu leiden: 1988 waren 34 Prozent der städtischen Bewohner mit einem sinkenden Realeinkommen konfrontiert.

Ein Schlüsselbarometer ist der steigende Anteil der Nahrungsmittelausgaben an den Gesamtausgaben der Verbraucher. In den fortgeschrittensten Ländern wird von den Konsumenten etwa ein Viertel ihres Einkommens für Nahrung ausgegeben. Auf dem chinesischen Festland lagen die Ausgaben der Arbeiter für Nahrungsmittel 1978 (vor der Wirtschaftsreform) bei 60 Prozent ihrer Löhne. Zwischen 1979 und 1985, als die Einkommen bei gleichbleibenden Lebensmittelpreisen stiegen, sank der für Nahrung ausgegebene Einkommensanteil beständig auf 42 Prozent. Die Situation kehrte sich im Jahr 1985 um: Die Nahrungsmittelpreise stiegen rapide an, das Realeinkommen sank. 1987 war der für Nahrungsmittel ausgegebene Anteil auf 55 Prozent gestiegen, 1988 erreichte er die 60 Prozent-Marke. Daran zeigt sich, daß die Erfolge in den frühen Jahren der Reform völlig negiert wurden, und diese Rückkehr zu einem Prä-Reform-Standard hat die meisten Stadtbewohner frustriert.

Die Arbeitslosigkeit ist ein weiteres hartnäckiges Problem. Jahrelang benutzte die KP-China zur Klassifizierung Arbeitsloser den Begriff: "Wartet auf Anstellung". In den letzten Jahren erschien in den Regierungsstatistiken eine so niedrige Arbeitslosenrate (l,5 bis 2 Prozent), daß niemand an ihre Richtigkeit glaubt. 1988 begannen die offiziellen Nachrichtenmedien mit der Veröffentlichung einer Reihe von Untersuchungen, denen zufolge 30 Millionen Menschen "latent angestellt" waren. Diese kreative Umschreibung bezieht sich auf solche Arbeitskräfte, die zwar offiziell angestellt sind, jedoch keine Arbeit übertragen bekommen haben.

Da jedes Jahr weitere 20 Millionen Menschen auf den festland-chinesischen Arbeitsmarkt drängen, können viele der Arbeitskräfte, die nicht von den staatlichen Betrieben übernommen werden, lediglich als Teilzeitkräfte und zu geringen Löhnen eingestellt werden. Auf der Suche nach freien Stellen reisen die Arbeitslosen von einer Stadt zur nächsten und bilden so eine 50 Millionen starke "fließende Bevölkerung", sind Bürger ohne Arbeit und ohne Wohnung. Zumeist schlafen sie auf Bahnhöfen, in Parks und städtischen Slums, wodurch sie Verkehrsprobleme schaffen und die sozialen Ordnung gefährden.

Im Gegensatz zum in der Misere lebenden Normalbürger kann jemand mit Verbindungen zu den Behörden leicht einen gutbezahlten Arbeitsplatz finden. Sobald jemand einen solchen Posten besetzt hat, können seine Familienmitglieder und Verwandten ebenfalls leicht eine Stelle finden und auf diese Weise ein Personalnetz bilden, in dem jeder den andern schützten und sich dabei in verdeckter Korruption ergehen kann. Diese Form von Korruption wurde durch die Wirtschaftsreform, im Zuge derer die Zentralregierung einen Teil ihrer Kontrollmacht an lokale Behörden deligierte, erst geschaffen. Außerdem war ein duales Preissystem eingeführt worden, das Profithaien mit guten Beziehungen ermöglichte, zu den niedrigen staatlich festgesetzten Preisen einzukaufen und die Waren zu überhöhten Schwarzmarktpreisen wieder abzusetzen. Die Privilegiertenschicht des Landes zog Vorteile aus der Kontrollverminderung und dem dualen Preissystem und scheffelte mittels illegaler Aktivitäten Profite.

Viele Partei- und Militärkader - oder ihre Kinder - gründeten neue Unternehmen. Schätzungen zufolge wurden allein 1988 von Parteioffiziellen und ihrer Verwandtschaft rund 180 000 neue Firmen aufgebaut. Diese betätigten sich in einer Reihe krimineller Geschäfte, einschließlich Spekulation und Schmuggel. Eine dieser Firmen, die Kang-Hua Company, wurde von Teng Pu-fang, dem Sohn Teng Hsiao-pings, geleitet. Während das Preissystem viele geradezu über Nacht zu Millionären machte, trieb die weite Verbreitung des "offiziellen Spekulantentums" die Preise für Rohstoffe in die Höhe und erweiterte die schnell steigende Inflation so um das Element des "Preistreibens."

In der Hoffnung, daß der Reichtum einiger den Rest der Bevölkerung dazu ermuntern würde, ihnen nachzueifern, ermutigten die Pekinger Behörden - ebenfalls im Zuge der Reform - einen Teil des Volkes, sich selbst zu bereichern. Die neue Landpolitik führte zur Entstehung der "10 000-Yüan-Familien." Diese Familien verfügen über ein Jahreseinkommen von mehr als 10 000 Yüan, nach dem gegenwärtigen Wechselkurs zwar weniger als 3 000 US$, auf dem chinesischen Festland jedoch das Einkommen reicher Leute. Die Entwicklung einer wohlhabenden Bauernschicht sowie die Erweiterung der Privilegiertenschicht haben die bestehenden Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen wesentlich vergrößert und zur Verschärfung der sozialen Konflikte beigetragen.

Die Wurzel dieser sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegt im autoritären Ein-Parteien-System, in dem politische Macht das Kapital ist, das die Ressourcen befehligt. Der oft zu hörende Ruf nach Demokratisierung und Kürzung der Sonderprivilegien für die neue Schicht war so stark, daß die Studenten die Herzen weiter Teile der Bevölkerung gewannen, als sie Freiheit und Demokratie forderten und der Regierung mit Spruchbändern gegenübertraten, auf denen zu lesen stand: "Nieder mit der Korruption" oder "Nieder mit dem offiziellen Spekulantentum."

Selten in der modernen Geschichte gab es ein Ereignis wie das auf dem Tienanmen, eines, das wochenlang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zog. Bevor das Regime über Peking das Kriegsrecht verhängte, war die Welt von der Zurückhaltung sowohl der Protestierenden als auch der Behörden beeindruckt gewesen und hatte große Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der Studentenproteste gehegt. Als die Führung der KP-China unter Teng Hsiao-ping letztendlich den einzigen Ausweg im Blutvergießen sah, Tausende unbewaffneter Demonstranten töten ließ und später die Massenverhaftung von Demonstranten befahl, reagierten auch die zivilisierten Länder auf noch nie dagewesene Weise.

Die erste wichtige Konsequenz war die weltweite Verhängung von Wirtschaftssanktionen. Erzürnt über die zur Anwendung gebrachte Gewalt, verzögerten oder verringerten westliche Regierungen und Hilfsorganisationen ihre Kredite. Die Weltbank, seit 1980 Festland-Chinas größte Quelle für nicht oder niedrig verzinste Kredite, verkündete am 27. Juni, daß sie Kredite an China von über 720 Millionen US$ zurückhalten werde. Während der letzten acht Jahre gewährte die Weltbank China Kredite über insgesamt 8,5 Milliarden US$, davon waren 3,44 Milliarden US$ unverzinst. Ein Drittel der Kredite wurde auf die landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung verwandt. Die japanische Regierung beschloß Mitte Juni ebenfalls, einen neuen, auf sieben Jahre angelegten Kredit an China über 3,3 Milliarden US$ zu verschieben. Weil ein dringender Bedarf an technischem Knowhow und grundlegender Infrastruktur besteht, ist die Aussetzung ausländischer Kredite ein schwerer Schlag für das chinesische Festland.

Die Direktinvestitionen wurden ebenfalls aufgeschoben oder rückgängig gemacht. Unmittelbar nach dem Blutvergießen entschlossen sich die meisten der amerikanischen, europäischen und japanischen Geschäftsleute in Peking und Shanghai, das Land zu verlassen. Das Ergebnis war, daß viele neue Investitionspläne entweder verzögert oder ganz aufgegeben wurden. So verschoben zum Beispiel Peugeot SA und Pepsico, Inc. die Erweiterung ihrer getrennten Joint-Venture-Fabriken im Süden Chinas. Der Aussage eines westlichen Handelsbeauftragten, der in einem Artikel in der August-Ausgabe des "Wall Street Journal" zitiert wurde, zufolge hatten fünf Fortune-500-Firmen Pläne gefaßt, eine Gesamtsumme von mehr als 650 Millionen US$ in ihre Anlagen in China zu investieren, aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen wie politischen Aussichten plante jedoch nur mehr eine von den fünf Firmen, mit dem Vorhaben fortzufahren. Ein japanischer Handelsbeauftragter schätzt, daß japanische Firmen dieses Jahr weniger als die Hälfte der 200 Millionen US$ investieren werden, die sie letztes Jahr eingesetzt hatten.

Der Einfluß auf die blühende Tourismusindustrie war gleichfalls verheerend. Vor dem Massaker zog das chinesische Festland etwa 2,2 Milliarden US$ pro Jahr aus dem Tourismusgeschäft. Als eine halbe Million Besucher aus Taiwan sowie mehrere Millionen Hongkong- und Auslands-Chinesen während der vergangenen Jahre in ihre Heimatstädte reisten, wurde der Tourismus zu einer lebenswichtigen Quelle für Auslandsdevisen. Das Blutbad auf dem Tienanmen hat einen gravierenden Tribut auch beim Reisegeschäft gefordert. Das chinesische Festland hatte für den Zeitraum von Juli bis Dezember dieses Jahres mehr als eine Million Besucher aus Übersee erwartet, aber Experten in Hongkong schätzen, daß das Massaker die Zahl der Reisewilligen auf 100 000 bis 400 000 reduziert hat - mithin ein Devisenverlust von wenigstens einer Milliarde US$ allein in diesem Jahr.

Auch wenn der direkte Verlust an Industrieproduktion und Einkünften aus der Wirtschaft auf einige größere Städte wie etwa Peking, Shanghai, Sian und Chengtu, in denen es zu erheblichen Unruhen kam, beschränkt ist, ist der Einfluß auf die einheimische Wirtschaft doch um einiges schwerwiegender und ausgedehnter.

Erstens: Infolge des Massakers werden sich Pekings Ausgaben in zwei wesentlichen Bereichen, nämlich Verteidigung und Preissubventionen, erhöhen. Da das regierende Regime nun von der Unterstützung der Armee abhängig ist, wird es den Militärhaushalt aufstocken müssen. Während der vergangenen zehn Jahre war Festland-Chinas Verteidigungshaushalt jedes Jahr niedriger als im Jahr 1979. Der Anteil der Verteidigung am Gesamthaushalt verringerte sich erheblich von 26,1 Prozent im Jahre 1968 auf 17,5 Prozent 1979 und weiter auf geringe 8,6 Prozent im Jahre 1986. Diese jährliche Haushaltskürzung hat die Militärs erbost. Jetzt, da das Militär erneut die kritische Rolle des Züngleins an der Waage übernommen hat, werden die Militärführer wahrscheinlich eine Haushaltserhöhung fordern. Weil sich die Maßnahmen, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, als weniger wirksam erwiesen haben als erwartet, muß das Regime unter Umständen auch die Nahrungsmittelsubventionen erhöhen, um Unruhen in der Bevölkerung vorzubeugen. Die Lebensmittelsubventionen belaufen sich gegenwärtig auf 30 bis 40 Milliarden Yüan pro Jahr und stellen die schwerste Bürde für den Staatshaushalt des chinesischen Festlandes dar.

Zweitens: Die Säuberung der Partei von Reformführer Chao Tzu-yang und seinen intellektuellen Beratern signalisiert das Fallenlassen der meisten jener Programme, die er und seine Anhänger in den letzten Jahren verfolgt hatten. Mitte August wurde vorgeschlagen, die drei einflußreichen "Think-tanks" des Staatsrates, die von den Reformern unterstützt werden (Forschungszentrum zur ländlichen Entwicklung, Forschungsinstitut zur Reform der Wirtschaftsstruktur und das Zentrum für wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung), aufzulösen. Jüngste Entwicklungen erweisen, daß Tengs Reformen nach und nach durch Chen Yuns "Vogelkäfig"-Wirtschaftspolitik abgelöst werden, die eher eine Rückkehr zur zentralen Planung und bürokratischen Kontrolle vertreten denn eine Bewegung hin zu einer "Bedarfsgüterwirtschaft."

Drittens: Die einzelnen Firmen auf dem privaten Sektor sind im Prozeß der Rezentralisierung die unmittelbaren Opfer. Ab 1980, als das regierende Regime als Bestandteil des Reformprogramms die Vorteile des Privatunternehmertums bestätigte, schnellte die Zahl der privaten Unternehmen in die Höhe. Gegen Ende 1988 waren etwa 24 Millionen Arbeitnehmer bei Privatfirmen angestellt, 1978 waren es lediglich 100 000 gewesen. Vor Tienanmen war dies auf dem chinesischen Festland der Wirtschaftssektor mit der höchsten Wachstumsrate.

Jetzt, da die Hardliner in der KP-China die Oberhand gewinnen, werden die Privatunternehmen in Shanghai und in anderen Städten wieder einer strikten Kontrolle unterworfen. Offizielle Berichte haben aufgedeckt, daß die Anzahl der Privatbetriebe bereits merklich gesunken ist, und dies ist der erste Rückgang in zehn Jahren. Diese Schrumpfung des privaten Sektors betrifft nicht nur die Einkommen von Millionen von Menschen, sondern beschränkt auch die Betätigungsmöglichkeiten für jene, die neu auf den Arbeitsmarkt drängen.

Viertens: Das Massaker hat der wirtschaftlichen Kooperation zwischen dem chinesischen Festland und Hongkong, inzwischen Festland-Chinas wichtigster Handelspartner und Hauptdevisenquelle, einen schweren Schlag versetzt. 1988 belief sich Hongkongs Handel mit dem chinesischen Festland auf mehr als 30 Milliarden US$ und übertraf somit Festland-Chinas Handelsaustausch mit Japan (19 Mrd. US$) und mit Westeuropa (21,8 Mrd. US$).

Wichtiger noch: unter Pekings neuer Politik der offenen Tür hat Hongkong während der letzten zwei Jahre 7 Milliarden US$ in der Provinz Kwangtung investiert und dadurch Arbeitsplätze für 1,5 Millionen Arbeitnehmer geschaffen. Vor den Unruhen planten Hongkonger Geschäftsleute verschiedene größere Investmentprojekte in Südchina, einschließlich Elektrizitätswerke, einer Autobahn und einem neuen Flughafen. Das Blutbad auf dem Tienanmen hat diese Pläne zunichte gemacht. Darüber hinaus sind die Aktien- und Immobilienpreise in Hongkong seit der Verhängung des Kriegsrechtes in Peking um mehr als 20 Prozent gesunken, auch hat der Verlust an Vertrauen in Pekings "Ein Land, zwei Systeme"-Formel für die Zeit nach der Übergabe Hongkongs an das chinesische Festland den Abzug von Kapital und Fachkräften beschleunigt.

Ganz offensichtlich hat das Geschehen auf dem Tienanmen die schon vorher bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten verstärkt und neue hinzugefügt. Es gibt einige schmerzhafte Probleme, mit denen die umstrukturierte Pekinger Führerschaft unmittelbar konfrontiert ist:

Erstens wird der Verlust an Auslandskrediten sowie an Einnahmen aus dem Tourismus die mageren Devisenreserven zum Schwinden bringen. Ende 1988 betrugen Festland-Chinas Auslandsschulden bereits insgesamt 40 Milliarden US$. Etwa 50 Prozent der Schulden wurden von Japan getragen und waren in japanischen Yen denominiert. Weil der Auslandshandel des chinesischen Festlandes in US-Dollar berechnet wird, hat sich die Schuldenlast, die 1992 und 1993 zurückgezahlt werden muß, mit der 50prozentigen Aufwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar über die letzten vier Jahre substantiell erhöht. Offiziellen Schätzungen zufolge wird die Schulden- und Zinstilgung 25 Prozent des festland-chinesischen Gesamtexportvolumens ausmachen und somit die vom Internationalen Währungsfond gesetzte 20 Prozent-Warnmarke überschreiten. Hierdurch wird die Fähigkeit des chinesischen Festlandes, in seine Infrastruktur zu investieren, noch weiter eingeschränkt werden.

Zweitens hatte Festland-Chinas Staatshaushalt seit 1979 fast jedes Jahr Defizite zu verzeichnen, die sich auf zusammengerechnet 150 Milliarden Yüan (42 Mrd. US$) belaufen. Unter den wichtigeren Ursachen für die Defizite befanden sich die zunehmend höheren staatlichen Subventionen zur Stabilisierung der Preise sowie die Beihilfen für Verlust machende Unternehmen. 1989 wurde auf diesen beiden Gebieten ein Rekordhoch von 93 Milliarden Yüan (26 Mrd. US$), 32,6 Prozent des gesamten Haushalts, erzielt. Die zu erwartenden Ausgabenerhöhungen für das Militär und die Preissubventionen werden das Defizit weiter vergrößern, und durch die hierzu gesteigerte Geldversorgung wird auch die Inflation noch weiter ansteigen.

Drittens werden die Schuldentilgung und die steigende Subventionslast dem Festland die Möglichkeit nehmen, die Engpässe in der Energieversorgung und bei den Transporteinrichtungen zu beseitigen. Wegen der kritischen Unterversorgung mit Strom und Kohle können viele Staatsbetriebe lediglich an vier Tagen in der Woche arbeiten.

Viertens bewirkt die Unterdrückung Andersdenkender, außer daß die Opposition zum Schweigen gebracht wird, auch, daß mögliche Lösungen für die hartnäckigen Wirtschaftsprobleme auf dem chinesischen Festland nicht mehr geäußert werden. Viele der in den letzten Monaten vom neuen Generalsekretär der KP-China verkündeten Maßnahmen sind lediglich eine Neuauflage der fadenscheinigen Politik der 50er und 60er Jahre.

Ein im August vom "Wall Street Journal" zitierter Kommentar von Wu Jinglian, einem der führenden Ökonomen auf dem chinesischen Festland, bringt die Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten treffend auf einen Nenner: "Solange diese Probleme nicht gelöst sind, wird auch die Wurzel der Instabilität weiter bestehen."

(Deutsch von Arne Weidemann)

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